Wald gehört in unserer Vorstellung zur Eifel wie Dünen zur Nordsee und Gletscher zu den Alpen. So kennen wir die Landschaft: Weite Bereiche sind mit Feldern und Wiesen überzogen, aber auf den Kuppen, in den Talflanken und auf größeren zusammenhängenden Flächen der ungünstigen Lagen bereiten sich die Wälder über die Eifel aus. Weil Bäume und Wald so langlebig, ja fast ewig wirken, machen wir uns die starken Veränderungen im Pflanzenbild der Vergangenheit nicht bewusst. Selbst dass durch die versauerte und vergiftete Luft dabei sind, Wald und Boden wohl engültig den Garaus zu machen, können wir nicht so recht glauben. Vielleicht schaffen wir es ja auf diese Weise, dass unsere Enkel von den Eifelhöhen einen ähnlichen Eindruck haben, wie unsere Jägervorfahren vor 12.000 Jahren.
Damals, am Ende der Eiszeit, bedeckte eine Tundravegetation unser Land. Von Baumbewuchs oder gar Wald war noch nicht die Rede. Aber mit den dann ansteigenden Temperaturen eroberten sich die Bäume neuen Lebenraum. Zuerst kamen Birken und Kiefern, sie setzten sich bis etwa 8000 v.Chr. trotz der Kälterückschläge und der Maarexplosionen in der Eifel durch. Während es weiter wärmer wurde, breiteten sich, durchsetzt von Eichen und anderen Laubbäumen, weite Haselnusshaine über die Mittelgebirge aus. Etwa um 5800 v.Chr. begann die Zeit des »Atlantikums«, das mit seinem feuchtwarmen Klima höhere Temperaturen aufwies, als wir sie heute haben. Die Eiche wurde der dominierende Baum in den nun dichter wachsenden Laubwäldern mit Ulmen und Linden.
Ungefähr um 4500 v.Chr. tauchten zwei neue Komponenten im Wald auf: Die Buche, die in den nächsten Jahrtausenden der wichtigste Baum im Eifelwald werden sollte, und der ackerbauende Mensch, der anfing, kleine Flächen in günstigen Lagen zu roden und in ein paar Tausend Jahren Herr der Landschaft werden sollte, um dann durch seinen Einfluss die Buche aus ihrer Führungsposition im Wald zu verdrängen.
Aber zunächst ging es langsam voran. In verschiedenen Schüben, schließlich immer größere Bereiche umfassend, siedelten Bauern in der Eifel. Weite Flächen waren noch von schier endlosen Buchenwäldern bedeckt, in den unteren Lagen mit Eichen durchmischt. In der Römerzeit wurde der Wald dann noch einmal gewaltig zurückgedrängt. Bis auf die Höhen der Schneifel besiedelten Römer, bzw. die romanisierte gallo-germanische Bevölkerung, die gesamte Eifel, überzogen sie mit einem dichten Straßennetz und nutzten mit ihren oft auf den Höhen liegenden Gutshöfen weite Teile der Landschaft für Ackerbau und Viehzucht.
Mit dem Zusammenbruch des römischen Imperiums konnte sich der Wald wieder deutlich ausdehnen. In der frühen Frankenzeit war die Besiedlung sehr dünn und beschränkte sich auf fruchtbare, wasserreiche Talauen. Im laufe der Jahrhunderte dehnten sich die Siedlungen wieder in die Wälder hienein aus. Im hohen Mittelalter kam es zu immer zahlreicheren Rodungen, die nun auch die Bereiche ungünstigeren Klimas und weniger fruchtbarer Böden umfaßten. Etwa um 1300 war der Höhepunkt der Rodungsperiode überschritten. Klimaverschlechterung und wirtschaftliche Veränderungen ließen Wüstungen entstehen, d.h. Dörfer wurden aufgegeben. Die Verteilung von Ackerland und Wald hatte sich in etwa eingependelt, aber die Übernutzung der verbleibenden Waldflächen in den nächsten Jahrhunderten sollte zu einem Niedergang der Wälder bis an die Grenze der Vernichtung führen.
Ein wichtiger Faktor dabei war die Eisenindustrie. Schon seit keltischer Zeit gab es in der Eifel Eisenverhüttung, weil hier Holz und Erz günstig beieinander lagen. Unter den Römern nahm diese Industrie einen gewaltigen Aufschwung, und die Holzkohleproduktion dafür wird, neben dem Brennmaterialen für Kalköfen und dem Bedarf an Bauholz, den Wald allerhand Substanz gekostet haben. Etwa eintausend Jahre später war die florierende Eisenproduktion wieder so weit, den Wald ernsthaft zu schädigen. In der Nähe der Hochöfen, die meist im Tal an eines Flusses lagen, um die Wasserkraft zu nutzen, war das Umfeld bald völlig verwüstet. Nach und nach wurden dann auf abgelegenere Gebiete von den Köhlern ausgebeutet, bis dann im 18. Jahrhundert Holzkohle in der Eifel knapp wurde. Damals wurde sie mit Wagen über weite Strecken transportiert, so dass die Messingindustrie in Stolberg und Handwerksbetrieben an Rhein und Maas aus den Eifelwäldern versorgt werden konnten. Einer der Gründe für den Niedergang der Eisenhütten im voriegen Jahrhundert war der hohe Preis bzw. der Mangel an Holzkohle.
Neben dieser industriellen Ausbeutung war aber auch die landwirschaftliche Nutzung für den Niedergang der Wälder verantwortlich. Diese Nutzung hatte einen Umfang, den wir uns heute kaum noch vorstellen können. Dabei spielte der Einschlag von Bau- und Brennholz für die Dörfer noch nicht einmal eine besondere Rolle. Wichtiger für die Waldzerstörung war da schon die Rottwirschlaft, die seit dem Mitterlalter in der Eifel betrieben wurde. Dabei handelte es sich um eine extensive Nutzung des Waldes für den Getreideanbau. In bestimmten Abständen wurde der Wald gehauen, ohne dass man die Strünke entfernte. Die Bauern verbrannten einen Teil des Holzes um der Düngerwirkung willen und bestellten das Gelände für ein oder zwei Jahre mit Getreide. Nun ließ man den Wald wieder ausschlagen und begann 10 bis 20 Jahre später den Zyklus von vorne. Dabei laugte der Boden mehr und mehr aus, und der Niederwald wurde schwächer und lichter, da die Schösslinge mehr unter Viehbiss zu leiden hatten als ein ausgewachsener Wald.
Aus den Niederwäldern wurde Ödland, das immer länger brachliegen musste, bis es nach einer Branddüngung wieder bestellt werden konnte. Dazu kam die Schädigung des Waldes durch Waldstreunutzung. Anstelle von Stroh, das nicht genügend vorhanden war und wohl auch als Futter verwendet wurde, holten die Bauern in großem Umfang Blätter, Farn und Heidekraut aus dem Wald, um damit die Kuhställe auszustreuen und Mist zu bereiten. Gerade im 18. und 19. Jahrhundert wurden so den Wäldern gewaltige Nähstoffmengen entzogen, was zu einer weiteren Verarmung der Böden führte.
Den schlimmsten Schaden aber nahm der Wald wohl durch die Nutzung als Weidegrund, vobei die verschiedenen Vieharten unterschiedlich schadeten. Herden von Hunderten oder sogar Tausenden von Schweinen wurden in die Wälder zur Mast getrieben. Eigentlich naheligend, denn das »wilde Schwein« lebt und ernährt sich ja auch im Wald. Eicheln und Bucheckern waren das natürliche Mastfutter, der Schaden für den Wald war gering. Aber auch die Rindviehweide spielte in der Eifel, wo es nur wenige gute Grasflächen gab, eine entscheidende Rolle. Ohne die Waldweide hätten die Dörfer ihre Rinder nicht ernähren können. So trieben die Bauern das Vieh in die Wälder, wo es sich Grünfutter suchte und vor allem junge Baumschösslinge vernichtete.
Noch krasser wurde die Baumverjüngung durch Ziegen verhindert, die praktisch alles anknabbern und heute noch weite Mittelmeerregionen kahlhalten. Die Schädlichkeit dieser »Milchkuh« des kleinen Mannes für den Wald wurde schon früh erkannt, und schon im 17. Jahrhundert gab es Verbote, Ziegen in den Wald zu treiben oder überhaupt »Geißen« zu halten. Zahlenmäßig viel bedeutender waren die Schafherden, die dafür sorgten, dass auf abgeholzten oder verödeten Flächen kein natürlicher Baumwuchs mehr aufkam. 1828 weideten 280.00 Schafe in der Eifel, eine für heutige Vorstellungen kaum glaubliche Zahl. Vor allem wegen der Wolle, aber auch als Fleischlieferant wurden Schafe gehalten.
Der Höhepunkt der Schafzucht, woraus die großen Wacholderheiden entstanden, war gleichzeitig der Tiefpunkt für die Situation der Eifelwälder. Köhlereien hatten den Wald in großen Bereichen vernichtet, kahl und öde lag die weite Landschaft, unfruchtbar wirkte der ausgelaugte Boden, miserabel war die Situation der Landwirtschaft. Damals prägte sich das Bild von der öden, kargen Eifel. Als grobe Schätzung kann man annehmen, dass von der Gesamtfläche der Eifel damals etwa ein Drittel Acker, Wiese und Dorfland war. Ein knappes weiteres Drittel bedeckte oft sehr schlechter Wald, und ein reichliches letztes Drittel bestand aus Ödland verschiedener Formen.
Zwei Hauptfaktoren führten damals zur Regeneration der Eifelwälder. Da war einerseits die steigende Nachfrage der Lederindustrie nach Eichenrinde (Lohe) und andererseits die Aufforstungsbemühung des preußischen Staates und seiner Forstämter. Den Aufbau von Eichenlohwäldern betrieben viele Eifelgemeinden auf Grund kurzer finazieller Vorteile von sich aus. Zur Aufforstung mit Fichten und Kiefern mussten sie mit guten Worten, Geld und zum Teil durch Militäreinsatz »überredet« werden.
Eine wachsende Zahl von Gerbereien brauchte seit Beginn des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr Eichenrinde als Grundstoff für die Lederverarbeitung. Damals entstanden die Lohewälder, die Eichenschälwälder als Waldnutzungsform in vielen Eifelgemeinden. Sie brachten schon nach einigen Jahren Geld in die Kassen und gaben vielen Kleinbauern einen Nebenverdienst in der Sommerzeit vor der Ernte. Mit dem 19. Jahrhundert ging auch diese Wirtschaftsform allmählich zu Ende, weil billigere Überseeprodukte und Erzeugnisse der Chemie die Eichenlohe verdängten. Vereinzelt hat sich das Lohschälen bis in die 20er und 30er Jahre erhalten, und noch heute findet man in einigen Gemeindewäldern die ausgewachsenen Reste jener Loheichen.
Wesentlich bedeutender für den Eifelwald waren die Aufforstungen in staatlicher Regie. Schon kurz nach der Übernahme der Rheinlande durch die Preußen hatte es eine ganze Reihe von Hinweisen auf die desolate Lage des Waldes und der Landeskultur in der Eifel gegeben. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts war es dann soweit, dass staatliche Gelder für die Wideraufforstung von Ödflächen dort zu Verfügung gestellt wurden und die neue Gemeineverfassung den staatlichen Forstbehörden erlaubte, Gemeindeland auch zwangsweise aufforsten zu lassen. Ohne diesen Zwang wäre die Widerbewaldung der Eifel wohl nicht so schnell vorangekommen, denn viele Bauern widersetzten sich der Aufforstung von Kiefern und Fichten, weil dadurch Weidemöglichkeiten verloren gingen. Andererseits waren die Böden oft so heruntergekommen, dass nur die anspruchslosen Kiefern und Fichten gedeihen konnten. Außerdem ermöglichte der schnellere Wuchs der Nadelhölzer einen höheren Gewinn aus den Gemeindewaldungen, der später, in diesem Jahrhundert, manchem Eifeldorf die Kasse füllte. Die Anpflanzung der Nadelbäume, im Volksmund »preußisch Holz« genannt, führte aber auch zu einer entscheidenden Strukturveränderung der Eifelwlder. Noch bis ins 19. Jahrhundert bestanden diese nur aus Laubbäumen, dann wurde fast ausschließlich nur Nadelholz gepflanzt. Schon vor 100 Jahren erkannten einzelne Förster die Probleme der Monokulturen: »Willst du den Wald vernichten, so pflanze nichts als Fichten« stammt aus jener Zeit. Die ökonomischen Zwänge für die Förster haben bis heute ihre Rolle behalten, so bestehen ca. zwei Drittel der Eifelwälder aus Nadelholz, ein Drittel aus Laubholz.
Die Aufforstungaktionen der preußischen Forstverwaltung haben Waldflächen erweitert und gesichert, das Prinzip der »Nachhaltigkeit« sollte den Wald auch für die Zukunft erhalten. Nach dieser Grundregel der Forstwirtschaft darf nie mehr Holz im Wald geschlagen werden, als gleichzeitig nachwächst. Doch in der harten Wirklichkeit war der Eifelwald auch in unserem Jahrhundert immer wieder gefährdet.
Das begann mit dem Ersten Weltkrieg und seinem gewaltigen Holzbedarf. In solchen Zeiten ist der »Sieg« bekanntlich wichtiger als alle Regeln, auch als die der Forstwirtschaft. Danach kam die Besatzungszeit, in der die Wälder für Reparationszahlungen bluten mussten. Im Zweiten Weltkrieg brauchte man wieder jede Menge Holz - diesmal ging es um den »Endsieg«. Aber am Ende stand zwar kein Sieg, dafür war die Eifel Kampfgebiet, so dass große Waldungen zerstört und vernichtet wurden. In der folgenden Besatzungszeit wurde wieder ein großer Teil der Reparationen durch Holz aus den Wäldern bezahlt. Das ging so weit, dass sich gegen die hemmungslosen Einschläge eine Organisation von Forstleuten und Waldbesitzern bildete: ›Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald‹. Heute braucht der Wald wieder Hilfe, nicht gegen die Rücksichtslosigkeit der Besatzungsmacht, sondern gegen die Skrupellosigkeit einer internationalen Industriegesellschaft, die für die Gewinne und Bequemlichkeiten von heute die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen auf das Spiel setzt. Die Folgen sind leider auch in den Eifelwäldern deutlich zu erkennen.